ES BEGANN VOR DREISSIG JAHREN

Die genialsten Ideen hatte stets  Andreas Z'Graggen, Gründer und erfolgreichster Chefredaktor der  «Bilanz». Kaum war die von ihm ins Leben gerufene Liste mit den hundert (heute dreihundert) reichsten Schweizern erstmals erschienen, drängte er auf ein Hotelrating. Die Hotellerie, befand er, sei nicht bloss ein wichtiger Wirtschaftszweig, schöne Hotels seien auch emotional und sinnlich, sexy eben. Als Z'Graggen das Wirtschaftsmagazin verliess, lebte die Idee weiter. Nur wusste keiner so richtig, wer sich auf das Abenteuer einlassen sollte. Schliesslich einigte man sich auf jenen Kollegen, der zuvor als junger Sportjournalist mehrere Monate im Jahr in Hotels gelebt hatte und auch in der Schweiz wenigstens den einen oder andern Hotelier kannte.

 

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So begann ich vor genau dreissig Jahren mit gezielten Hotelbesuchen und erstellte zwei Jahre später frisch und fröhlich das erste Hotelrating. Es war eine kunterbunte Mischung aus hundert Ferien- und Businesshotels, die sich eigentlich gar nicht miteinander vergleichen liessen. Die Klassierung erfolgte auf abenteuerliche Weise, bisweilen auch nach dem Zufallsprinzip. Zumindest bei den ersten drei aber lag ich kaum daneben: Das Albergo Giardino in Ascona war die Nummer eins vor dem Victoria-Jungfrau in Interlaken und dem Zürcher Baur au Lac. Die drei damaligen Direktoren Hans C. Leu, Emanuel Berger und Michel Rey liessen sich fürs «Bilanz»-Titelbild im Park des Baur au Lac gemeinsam ablichten und hatten ihre Freude am neuen Schweizer Hotelrating.

 

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Andere Hoteliers hatten entschieden weniger Freude daran, dass da ein Greenhorn daherkam und sie einfach so klassierte. Da wurde schon mal mit rechtlichen Schritten gedroht. Auch die Spitzenposition des  Giardino ärgerte manche. Dass der vor sieben Jahren verstorbene Paradiesvogel Hans C. Leu dort die  Luxus-Ferienhotellerie revolutionierte, sein meist bumsvolles Haus in eine Theaterbühne verwandelte und dafür in halb Europa Applaus erntete, rief Neider auf den Plan. Die einen giftelten anonym gegen das Hotelrating im Allgemeinen und das Giardino im Besonderen. Andere beschwerten sich direkt beim damaligen «Bilanz»-Chefredaktor. Gemeinsam war ihnen eines: Sie kannten das  Giardino gar nicht. Die Interventionen brachten nichts. Der aufgeregte Chefredaktor drängte zwar vehement auf eine neue Nummer eins, doch zu seinem grenzenlosen Ärger beliess ich das Giardino fünf Jahre, bis zum Abschied von Leu, an der Spitze.

 

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In der Anfangszeit kam es nicht selten vor, dass sich gewisse Leute als Mitarbeiter des Ratings ausgaben, um von Hotels eingeladen zu werden. Den Vogel schoss einer ab, der für sich und seine Familie eine Suite in einer Engadiner Nobelherberge wünschte – für eine volle Woche über die Festtage. Einen anderen gelüstete es nach einer Woche Gratisferien in einer Finca auf Mallorca. Gegenüber der Eigentümerschaft behauptete er, das Hotelrating würde in diese Richtung ausgebaut. Ich kannte keinen der vielen Schlaumeier persönlich. Wie sich herausstellte, waren auch ein Korrektor, ein Layouter und ein Anzeigenverkäufer darunter.

 

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Auch Beeinflussungsversuche gab es in den ersten Jahren. Besonders interessant war eine Einladung nach Bangkok und Hongkong im Privatjet mit einer abschliessenden Woche Erholung im Amanpuri auf Phuket. Eine Woche Florida in einer Traumvilla mit Pool und eigenem Golfplatz oder ein Segeltörn in der Ägäis tönten auch nicht schlecht. Von einer Gegenleistung im Hinblick aufs Hotelrating war nie direkt die Rede, indirekt aber schon. Das muntere Treiben hörte erst auf, als die Sonntags Zeitung das Rating vor dreiundzwanzig Jahren übernahm. Die Aufteilung der Hotels in Kategorien und die Einführung von klaren Bewertungskriterien liessen die Akzeptanz innerhalb der Branche schlagartig steigen. Karl Wild Hotelrating Schweiz wurde ins Markenregister eingetragen.

 

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Was bis heute geblieben ist, sind Fragen. Jene etwa, ob man nicht Beisshemmungen hat, wenn man ein Hotel auf Einladung besucht. Hat man nicht. Ein Luxushaus im Tessin fiel einmal nach einem zweitägigen Aufenthalt um vier Ränge zurück, eines in Graubünden gar um fünf. Auch die fehlende Anonymität ist kein Problem. Lage und Hardware eines Hotels verändern sich nicht, wenn ich komme. Preise und Ambiente auch nicht, und es werden auch nicht alle Mitarbeitenden freundlich, wenn sie eigentlich hässig sind.

 

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Natürlich werde ich bisweilen in eine Traumsuite einquartiert, die pro Nacht 30 000 Franken kostet oder auch mehr. Und zum Abendessen gibt es auch nicht unbedingt Wurstsalat einfach. Nur: Hätten all die Annehmlichkeiten irgendwelchen Einfluss auf die Klassierung gehabt, gäbe es das Schweizer Hotelrating nicht seit bald dreissig Jahren. Garantiert nicht.

 

Karl Wild